(Dieser Artikel ist veröffentlicht in MHR 1/03, 27) < home RiV >

Unbescheiden, dennoch richtig:

Vorrang für die Justiz


"Bescheidenheit ist eine Zier - doch weiter kommste ohne ihr". Das ist eine mit Berliner Schnauze prägnant zusammengefasste Weisheit, die wenig sympathisch, aber sehr lebenstüchtig klingt - und mit der vorläufigen Positionsbestimmung des Verantwortlichen für den Haushalt der Justizbehörde offenbar unvereinbar ist. Siewert hat in seiner Rede auf der in dieser MHR besprochenen Veranstaltung zum Justizhaushalt und wie bei www.richterverein.de/j2000/haushsem/siewert.pdf im vollen Kontext zu lesen, u.a. ausgeführt:

 

"... es gibt wohl keinen begründbaren Grundsatz, nach dem die Gewährleistung einer funktionsfähigen Rechtspflege einen Vorrang vor der Sicherung des Bildungsanspruchs unserer Kinder oder der Sicherung eines bezahlbaren Gesundheitssystems hätte. Art. 97 GG garantiert die richterliche Unabhängigkeit, verhindert aber nicht, dass insbesondere in Zeiten der Dürre unter Berücksichtigung der politischen Prioritäten auch in dem einen oder anderen Fall entschieden werden muss, wer mehr oder weniger von der Haushaltsdecke abbekommt."


Wegen der erheblichen Bedeutung der damit angesprochenen Rechtsfrage, aber auch des Diskutanten, der eine Schlüsselfigur im Budget-Ringen der Justizbehörde mit der Finanzbehörde ist, erscheint die Aufforderung zulässig und geboten, die Ansprüche der Rechtsprechungsorgane auf angemessene Mittelausstattung wegen ihrer verfassungsrechtlich gesicherten Sonderstellung doch offensiver und selbstbewusster zu vertreten. Die defensive Gleichsetzung von Rechtsprechung, Schulwesen und Gesundheitssystem dürfte nämlich unberechtigt sein.

Allerdings gibt Art. 97 GG mit dem Gebot der sachlichen und persönlichen Unabhängigkeit der Richter wenig her für konkrete Haushaltsanmeldungen - er ist aber auch ohnehin nicht sedes materiae. Vielmehr ist abzustellen auf die staatliche Justizgewährleistungspflicht, die als Korrelat des staatlichen Gewaltmonopols zu verstehen ist (vgl. BVerfGE 54, 277, 292; Schmidt-Aßmann HdBdStR I, § 24 Rdnr. 70 ff.) und deshalb nicht allein die von Art. 19 Abs. 4 GG erfassten Gerichte fordert (und ihre Ausstattung sichert), sondern, aus dem Rechtsstaatsgebot abgeleitet, für alle Gerichte gilt. Das Bundesverfassungsgericht hat seine Forderungen nach angemessener Ausstattung der Gerichte zwar vorrangig zu den besonderen grundgesetzlichen Richtervorbehalten aus Art. 13 Abs. 2, 104 Abs. 2 GG ausformuliert, sie haben aber allgemein Geltung (vgl. auch Papier, NJW 1990, 8, 10). Besonders prägnant sind die Darlegungen in dem Urteil vom 20.02.01 (BVerfGE 103, 142, 152f.):

 

"Art. 13 GG verpflichtet alle staatlichen Organe, dafür Sorge zu tragen, dass der Richtervorbehalt als Grundrechtssicherung praktisch wirksam wird. Defiziten der Wirksamkeit müssen sowohl die Gerichte - die einzelnen Ermittlungsrichter ebenso wie die für die Bestellung der Ermittlungsrichter und die Geschäftsverteilung zuständigen Präsidien - als auch die Strafverfolgungsbehörden entgegenwirken. Zu­dem sind die für die Organisation der Gerichte und für die Rechtsstellung der dort tätigen Ermittlungsrichter zuständigen Organe der Länder und des Bundes aus Art. 13 GG gehalten, die Voraussetzungen für eine tatsächlich wirksame präventive richterliche Kontrolle zu schaffen ...  Die Mängel werden unter anderem darauf zurückgeführt, dass der Ermittlungsrichter, auch aus Gründen unzureichender personeller Ausstattung der Amtsgerichte, unter zu starkem Zeitdruck stehe, dass er gerade bei umfangreichen Verfahren keine vollständige Kenntnis des Sachverhalts erlangen könne und dass ihm oft das notwendige Fachwissen in Spezialgebieten fehle ... Diese Mängel können nicht allein durch den zuständigen Richter selbst behoben werden. Seine verfassungsrechtlich begründete Pflicht, sich die notwendige Zeit für die Prüfung eines Durchsuchungsantrages zu nehmen und sich Kenntnis von der Sache sowie das erforderliche Fachwissen zu verschaffen, kann er nur bei einer entsprechenden Geschäftsverteilung, ausreichender personeller und sächlicher Ausstattung seines Gerichts, durch Aus- und Fortbildungsmöglichkeiten sowie vollständige Information seitens der Strafverfolgungsbehörden über den Sachstand erfüllen."


Demgegenüber nehmen sich die Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts zu den aus den Teilhaberechten abzuleitenden Vorgaben für die Finanzausstattung auch dann wesentlich zurückhaltender aus, wenn es um grundgesetzlich garantierte Institutionen geht - was für das in der Rede als gleichrangig angeführte Gesundheitssystem ohnehin nicht gilt:

 

"Über diese Beschränkungen hinaus steht die Förderungspflicht von vornherein unter dem Vorbehalt dessen, was vernünftigerweise von der Gesellschaft erwartet werden kann; darüber hat in erster Linie der Gesetzgeber in eigener Verantwortung unter Berücksichtigung auch anderer Gemeinschaftsbelange und der Erfordernisse des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts zu befinden. Der Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers umfasst mithin im Interesse des Gemeinwohls auch die Befugnis, die nur begrenzt verfügbaren öffentlichen Mittel für andere wichtige Gemeinwohlbelange einzusetzen. So darf er bei notwendigen allgemeinen Kürzungen den Gesamtetat für das öffentliche und private Schulwesen herabsetzen ..."

(BVerfGE 75, 40, 68f., Urt. v. 8. 4. 87)


Zitate aus Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts allein werden sicherlich kaum geeignet sein, einen etwaigen entgegenstehenden politischen Willen bei Budgetentscheidungen sogleich niederzuringen. Die Justizbehörde sollte die Worte aus Karlsruhe aber auch nicht unbeachtet lassen. Das Heil ist keineswegs in der möglichst weitgehenden Angleichung an die Exekutive zu suchen, nur weil diese die übrigen Wettbewerber um die Mittelverteilung stellt.

Erheblich steigender Spardruck des Staates wirft allenthalben die Frage nach unbedingter Notwendigkeit, nach den Kernaufgaben auf. Die Justiz hat hier eine rechtlich eindeutig abgesicherte Position - sie muss sich aber auch ihres eigenen Wertes und ihrer besonderen Stellung bewusst bleiben und diese beharrlich gegenüber dem Parlament geltend machen.

 

Michael Bertram