(Dieser Artikel ist veröffentlicht in MHR 2/04, 4) < home RiV >

Gesetzes-Reformen allerorten

– und wo bleibt die Justiz-Exekutive?

 

Reformen sind angesagt, schon seit längerer Zeit und überall. Viele scheinen dafür zu sein, nicht wenige aber haben insgeheim Vorbehalte, weil eigene Reform-Betroffenheit unsicher und ängstlich macht. Andere, denen Liebgewordenes ganz abhanden zu kommen scheint, mutieren im gesetzgeberischen Reformprozess gar zu Kassandrarufern, erscheinen nach dessen Abschluss aber doch recht kleinlaut oder gar still. In solchen Zeiten sind weiter jene zu beobachten, die in Reformen unvorbereitet hineinstolpern. Das alles war und ist auch bei Justizreformen zu beobachten.

Die Ziviljustiz hat in jüngster Zeit einige tief greifende Veränderungen erlebt, und die Gerichte versuchen, damit zu leben. Große Reformwerke waren hier die Zivilprozess-Reform, sowie die Reform des Miet- und des Schuldrechts.

Ganz erhebliche Umschichtungen in der gerichtlichen Arbeitsweise hat die Reform des Zivil-Verfahrensrechts hervorgebracht. Ich will zeigen, dass sie mit dem Inkrafttreten nicht als beendet gelten kann, sondern dass der Abschluss durch die Justiz-Exekutive noch seiner Erledigung harrt. Ganz konkret: Es fehlt die Umsetzung der Vorstellung des Reformgesetzgebers, nämlich die stellenmäßige Aufstockung der Hamburgischen Amtsgerichte im Service- und Richterbereich zu Lasten von derzeit beim Landgericht und Oberlandesgericht angesiedelten Stellen als Folge der Gesetzesreform.

Bei der Zivilprozess-Reform sind verschiedene Motive oder Ziele des Gesetzgebers auszumachen; zweierlei ist hervorzuheben: Einmal soll eine verantwortbare Vereinfachung des Verfahrens erreicht werden, andererseits aber auch ein verbesserter Schutz der Rechtssuchenden an der richtigen Stelle. Grob gerastert lässt sich resümieren: Die bereits Anfang 2002 in Kraft getretene ZPO-Reform hat diese Ziele abgeschichtet; das Schutzmotiv mit dem aufwändiger gestalteten Verfahren ist in der ersten Instanz angesiedelt worden, um dann guten Gewissens die wesentlichen Verfahrensvereinfachungen ins Berufungsverfahren zu verlagern. Dazu einige Beispiele:

1.

Den tiefsten Eingriff für die Eingangsinstanz stellt der neu gestaltete § 139 ZPO dar. Er formuliert viel Selbstverständliches. Die Auflagen- und Hinweispflicht (Abs. 2 und 3), der so früh wie möglich nachgekommen werden soll (Abs. 4), erfordert von richterlicher Seite viel taktisches Gespür. Erfolgen die gerichtlichen Äußerungen schon im Vorfeld des Verhandlungstermins, besteht die Gefahr, dass der Verlauf des Rechtsstreits ins rein Juristische abdriftet und die Abzweigung zu einer gütlichen Einigung verpasst wird. Deshalb will schon im Anfangsstadium geprüft und entschieden sein, ob die Hinweispflicht zur besseren Erhaltung einer Regelung durch Vergleich auf die mündliche Verhandlung verschoben wird; scheitert eine dahingehende taktische Entscheidung und sind nach fehlgeschlagener Güteverhandlung und durchgeführtem Verhandlungstermin Schriftsatzfristen einzuräumen (§ 139 Abs. 5 ZPO), so ist grundsätzlich ein weiterer Termin und ein Mehr an Arbeit unumgänglich. Die Ausfüllung dieser Vorschrift ist arbeitsaufwändig. Die Richterseite hat vor dem Termin fortlaufend zu prüfen, ob schriftliche Auflagen erforderlich sind. Diese dann umzusetzen, benötigt weit mehr Personaleinsatz im Servicebereich als vor der Reform.

2.

Nicht so sehr die etwas formalistische Regelung der Güteverhandlung (§ 278 Abs. 1 und 2 ZPO) zwingt zu mehr Einsatz in der ersten Instanz gegenüber dem Vor-Reform-Zustand; einen solchen Güteversuch hatte auch zuvor schon jeder erfahrene Praktiker gestartet (§ 279 ZPO a.F.). Arbeitsintensiv ist die notwendige Beteiligung der - oftmals sehr aufgeregten – Parteien selbst (§ 278 Abs. 3 ZPO). Die Befassung mit ihnen und die Protokollierung ihrer Äußerungen ist für die Richter und die Service-Mitarbeiter der Eingangsinstanz mit viel zusätzlicher Arbeit verbunden.     

3.

Neu ist die in der ersten Instanz mögliche Gehörs-Rüge nach § 321a ZPO. Sie macht zunächst einen schriftlichen Fortgang des Verfahrens unumgänglich und hat in jedem Fall eine Entscheidung zur Folge, die nicht nur durch Richter, sondern auch durch Service-Mitarbeiter umzusetzen ist. Ist die Rüge begründet, ist das als erledigt erwähnte Verfahren fortzusetzen.

4.

Die Abhilfemöglichkeit im Beschwerdeverfahren, die vor der Reform nur im Falle der einfachen Beschwerde vorgesehen war (§§ 571, 577 Abs. 3 ZPO a.F.), ist jetzt für alle Fälle der nunmehr nur noch statthaften sofortigen Beschwerde vorgesehen (§ 572 Abs. 1 S. 1 ZPO). Die Zahl der Beschwerden, die in die Beschwerdeinstanz gelangen, wird auf jeden Fall reduziert, der Arbeitsanfall in der ersten Instanz vermehrt.

5.

Last not least – aber nur soweit es die Eingangsinstanz bei den Amtsgerichten betrifft – hat die Zivilprozess-Reform aus prozess­ökonomischen Gründen die vernünftige Möglichkeit eröffnet, dass über das Ablehnungsgesuch gegen einen Amtsrichter statt – wie zuvor – Landgericht oder Oberlandesgericht (§ 45 Abs. 2 ZPO a.F.) ein anderer Richter des Amtsgerichts entscheidet (§ 45 Abs. 2 ZPO). Bei aller Vernunft: Ein zusätzlicher Arbeitsschritt auch hier für Richter- und Servicebereich bei den Amtsgerichten – und ein Weniger in der bisherigen Entscheidungsinstanz.

6.

Die unter Nrn. 1 bis 4 genannten Beispiele für eine arbeitsintensivere Vorgehensweise betreffen auch das Landgericht als Eingangsinstanz. Relativiert wird diese zusätzliche Belastung der dortigen ersten Instanz dadurch, dass durch die Zivilprozess-Reform dort „das Kollegialprinzip für das Verfahren 1. Instanz aufgegeben“ worden ist (Zöller/Greger, ZPO, 24. Aufl., 2004, Vor § 348 ZPO Rz. 1, s. §§ 348, 348a ZPO). In der ersten Instanz beim Landgericht hat ebenso wie beim Amtsgericht der Einzelrichter das Sagen. Die Notwendigkeit für eine Dreierberatung im Kollegium ist nicht mehr vorgesehen und erforderlich. Eine höhere Richter-Pensenbelastung als zuvor ist also denkbar; dies würde sich (weniger Richter = weniger Service-Personal) auch auf den Servicebereich auswirken.       

7.

In hohem Maße arbeitserleichternd sind die Neuregelungen für die Berufungsinstanz (LG und OLG). Zu erwähnen sind hier in erster Linie die Möglichkeiten, die Berufung durch Beschluss zu verwerfen (§ 522 Abs. 2 ZPO). Dieser nimmt zur Begründung zumeist Bezug auf eine oftmals recht knappe terminsvorbereitende Verfügung, die zur Zurücknahme des Rechtsmittels geraten hatte. In sehr vielen Fällen kommt der Prozessbevollmächtigte des Rechtsmittelführers dem nach, weil die Weichen durch das Gericht bereits gestellt und eine mündliche Verhandlung, in der noch vehement Einfluss auf den Prozessausgang genommen werden könnte, nicht im Bereich des Möglichen liegt. Diese Vorgehensweise verärgert die Anwälte – wie Gespräche zeigen – zunehmend. Von der Möglichkeit des § 522 Abs. 2 ZPO wird – das ergibt die Durchsicht von rückkehrenden Akten – zumindest beim Landgericht in weitreichendem Maße Gebrauch gemacht. Kommt es aber in der Berufungsinstanz zur Verhandlung, bedarf es anders als in der Eingangsinstanz einer Güteverhandlung nicht (§ 525 S. 2 ZPO). Weiter ist das Berufungsverfahren weitgehend geschützt vor neuem Sachvortrag (§ 531 Abs. 2 ZPO).

8.

Etwas, was mit der Zivilprozess-Reform nichts zu tun hat, soll an dieser Stelle gleichwohl Erwähnung finden, nämlich die ungleich stärkere Zuteilung der Referendare auf die Amtsgerichte. Nach dem Hamburgischen Juristenausbildungsgesetz vom 11. 6. 2003 (HmbGVBl. S. 156 ff.[1]) können die Pflichtstationen der Referendare in Zivil- und Strafsachen sowohl bei den Amtsgerichten als auch beim Landgericht geleistet werden (§ 41 Abs. 1 Nrn. 1+2). Im Jahre 2003 sind den Hamburgischen Amtsgerichten 96 Referendare, dem Landgericht Hamburg 43 Referendare zugeteilt. Das Verhältnis von ca. 250 Richterpensen (Hamburgische Amtsgerichte) zu ca. 210 Richterpensen (Landgericht Hamburg) zeigt auch hier die bestehende Ungleichbelastung. Denn man kann es drehen wie man will: Referendarausbildung macht häufig Freude, ist jedoch auch mit viel Arbeit und Mühe verbunden.

Die Beispiele sollen zeigen, dass die Belastung zwischen den Instanzen sich nicht unerheblich verschoben hat. Den wesentlichen Arbeitsschub haben hierbei die Amtsgerichte abbekommen. Darüber besteht auch kein erkennbarer Streit. Im Servicebereich wird dies auch belegt durch Äußerungen von beim Landgericht tätigen Geschäftsstellen-Mitarbeiter auf Jahrgangstreffen ehemaliger Anwärter. Eine Personalangleichung in Form einer Personalverlagerung zwischen den Gerichten zugunsten der Amtsgerichte liegt angesichts dessen auf der Hand.

Die Begründung zum Entwurf eines Gesetzes zur Reform des Zivilprozesses vom 24.11.2000 sagt dazu unter der Überschrift ungleichgewichtiger Personaleinsatz: „Die Verteilung der richterlichen Arbeitskraft auf erste und zweite Instanz ist derzeit nicht optimal.“ Es bestehe im Verhältnis von Amtsgericht zu landgerichtlicher Berufungsinstanz im Richterbereich ein Verhältnis von 2,8 zu 1, im Verhältnis von Landgericht als Eingangsinstanz und OLG sogar ein Verhältnis von 2,4 zu 1. Zwischenbemerkung: Dieser Richter-Über­hang hat naturgemäß auch einen Service-Überhang zur Folge. Weiter heißt es in der Begründung: „Dieser starke personelle Ausbau der Kontrollinstanz erscheint – gerade im Hinblick auf die relativ geringe Quote der Einlegung und des Erfolgs von Berufungen – nicht geboten. Um eine optimale Nutzung und gesellschaftliche Wirkung richterlicher Arbeitskraft zu erreichen, erscheint es vielmehr sinnvoll, die erste Instanz personell zu stärken.“ (BT-Drs. 14/4722, S. 60, A.II.5.). Dass der Gesetzgeber mit „erste Instanz“ im Hinblick auf die Ausführungen oben unter Nr. 6 nur die personelle Aufstockung der Amtsgerichte und nicht auch die der Landgerichte gemeint hat, bezeugt folgendes Zitat: „Das erstinstanzliche Verfahren vor den Landgerichten und die Berufungs- und Beschwerdeverfahren werden effizienter gestaltet. Der dortige Geschäftsanfall kann daher künftig mit erheblich weniger Personal bewältigt werden. Dadurch werden die Länder in die Lage versetzt, die notwendige personelle Stärkung der ersten Instanz ... ohne zusätzliche Haushaltsmittel zu bewältigen.“ (BT-Drs. 14/4722, S. 2, unter D).

Der Gesetzgeber stellt sich also mit Grund eine Verschiebung von Personalressourcen (Richter und Service-Mitarbeiter) „von oben nach unten“ (d.h. von Landgericht und Oberlandesgericht zu den Amtsgerichten) vor. Was ist in Hamburg daraus geworden? Bisher – so scheint es – überhaupt nichts. Man sage nicht, es seien beim Oberlandesgericht bzw. Land­gericht in Hamburg Zivil-Senate und -Kammern geschlossen worden. Das ist ggf. die Folge geringerer absoluter Eingangszahlen gewesen, nicht jedoch im Hinblick auf die weniger arbeitsintensive Tätigkeit in der Oberinstanz infolge der ZPO-Reform erfolgt. Dies war die einzige Motivation, bekannt gewordene Gespräche in der Vergangenheit über reformbedingten Personalausgleich gab es nie, die bei Landgericht und Oberlandesgericht ggf. eingesparte Stellen sind bei den Amtsgerichten auch nie angekommen. Übrigens: Auch bei den Hamburgischen Amtsgerichten werden bei zurückgehenden Eingangszahlen gnadenlos Abteilungen und Geschäftsstellen geschlossen.

Die nach wie vor einzufordernde Bringschuld einer gerechten Personalverteilung in der Ordentlichen Gerichtsbarkeit wartet immer noch auf Erfüllung. Nach welchen Kriterien soll vorgegangen werden? (dazu a) - Besteht für einen Personalausgleich noch eine Notwendigkeit? (dazu b) - Wer ist dafür verantwortlich? (dazu c)

a) Eine gerechte Personalbedarfsbemessung ist unabhängig von der ZPO-Reform immer wieder gefordert und zu erstellen versucht worden. Ein allseits anerkanntes System, mit dem sich bereits jetzt rechnerisch-exakt arbeiten ließe, hat man bisher jedoch nicht hervorgebracht. Der aktuellste Versuch insoweit war der Beschluss der deutschen Landesjustizminister aus dem Jahre 1998, für den Bereich der justiziellen Rechtsanwender neue Systeme der Personalbedarfsberechnung durch Externe entwickeln zu lassen, auch mit dem Ziel, „eine angemessene Verteilung des verfügbaren Personals innerhalb der Justiz“ zu erreichen. Das nach Recherchen in der Praxis Anfang 2002 dazu erstellte Pebb§y-I-Gutachten[2] weicht ab vom System, für bestimmte Bereiche Fallzahlen als Gradmesser zu wählen, favorisiert vielmehr die zu ermittelnde durchschnittliche Be­arbeitungszeit als bundeseinheitliche Basiszahl und weist für die wesentlichen Bereiche durchschnittliche Bearbeitungszei­ten auf. Ein Mangel ist, dass die ermittelten Werte durch die nach-gutachterlichen verfahrensrechtlichen Umschichtungen der ZPO-Reform in nicht geringem Umfang wertlos geworden sind. Ein weiteres Gutachten zur eigenständigen Personalbedarfsbemessung für den mittleren und einfachen Justizdienst wurde in der zweiten Hälfte des Jahres 2002 vorgelegt (Pebb§y II[3]) und kommt auch hier zum gleichen Bemessungs-Ergebnis. Die Anwendung der neuen Art der Personalbedarfsbemessung setzt eine Auswertung der neuen Justizstatistik voraus, die im Zivilbereich in diesem Jahr eingeführt worden ist. Frühestens 2006 können danach Pebb§y I+II mit dem vorstehend gemachten Vorbehalt eine verlässliche Grundlage für eine Personalumschichtung zwischen den Gerichten im Zivilbereich sein.

Was bleibt, ist, in der Zwischenzeit weiter mit bereichsspezifischen Fallzahlen zu arbeiten und diese angemessen zu erhöhen (Amtsgerichte) bzw. zu reduzieren (Landgericht und Oberlandesgericht).

b) Zur Notwendigkeit einer Personalverschiebung zugunsten der Amtsgerichte kann gesagt werden, dass die Arbeit in den Zivilgerichten der Hamburger Amtsgerichte seit Jahren ein sehr hohes Arbeitspensum beinhaltet. Die durchschnittlichen Eingangs-Fallzah­len nach der Netto-Statistik (ohne Erledigungen durch Abgaben innerhalb des Gerichts) betrugen im (Vor-Reform-)Jahr 2001 715 Akten für ein ganzes Richterpensum; als zumutbar werden nach Kriterien vor der ZPO-Reform 600-650 neue Sachen angesehen. Diese 2001-Zahl hatte sich im (Nach-Reform-)Jahr 2003 sogar auf 803 Akten für ein volles Richterpensum erhöht. Hier gab es Ausreisser in verschiedenen Bereichen, die nicht einzeln aufgeführt werden sollen. Insgesamt ist festzuhalten, dass der Arbeitsdruck in allen Zivilbereichen der Amtsgerichte enorm ist.

Da perfekt festzuzurrende Grundlagen fehlen, erscheint hier ein pragmatisches Vorgehen angesagt, ähnlich wie im kursorischen Verfahren, mit dem jeder Jurist umzugehen gelernt hat. Falsch wäre es, jetzt gar nichts zu tun und das ganze noch Jahre ungeregelt laufen zu lassen. Weit über zwei Jahre wird das Reform-Gesetz schon angewendet ohne wahrnehmbares Tätigwerden der Verantwortlichen.         

c) Wessen Tun ist gefragt? Eine allen beteiligten Gerichten der Ordentlichen Gerichtsbarkeit übergeordnete Stelle muss es sein. Sie wird im Hamburgischen Ausführungsgesetz zum GVG namhaft gemacht, und zwar gleich im Doppelpack: Die Dienstaufsicht über die Gerichte üben aus der Senat bzw. die Justizbehörde und der Präsident des Hanseatischen Oberlandesgerichts (§ 23 Abs. 1 Nrn. 1+2). Die geforderte Tätigkeit in Angriff zu nehmen, ist Teil der Dienstaufsicht. Eine Priorität der einen oder anderen Stelle sieht das Gesetz nicht vor. Sie ist abhängig vom Inhalt der anstehenden Regelungen. Hier dürfte es sachgerecht sein, die Vorbereitungsarbeit beim Präsidenten des Oberlandesgerichts, deren Umsetzung aber bei der Justizbehörde zu sehen. Das Gerede von der Selbstverwaltung der Gerichte könnte hier mit Leben erfüllt werden, wenn der Präsident des Oberlandesgerichts behände zu agieren begönne und die Situation der Ordentlichen Gerichte in diesem Sinne durch Eingreifen gestaltete und verwaltete. Die Bereitschaft dazu scheint dem Vernehmen nach nicht vorhanden zu sein. Diese Erkenntnis ist der Grund dafür gewesen, dass der Präsident des Amtsgerichts am 30.10.2003 nach Beratung mit den Direktoren der Stadtteilgerichte ein schriftliches Petitum an den Leiter des Justizverwaltungsamts der Justizbehörde gerichtet hat. Die Antwort kam am 13.11.2003 mit der Aussage, man sehe sich derzeit nicht imstande, die Ressourcensteuerung „aufgrund der neu einzuführenden Systeme umfassend ‚auf den Punkt‘ zu bringen“, prüfe aber. Ein Spitzentreffen am 14.05.2004 zu diesem Punkt, an dem die Präsidenten der Ordentlichen Gerichtsbarkeit teilgenommen haben, hat keine Ergebnisse gebracht. Weiteres ist (Stand 28. 05. 2004) nach meinem Kenntnisstand nicht zu vermelden.

Fazit: Einer der Träger der Verantwortung spürt diese ­- zumindest auf Amtsleiterebene ­-, sieht sich aber zu einem sofortigen Tun nicht in der Lage, der andere fühlt sich überhaupt nicht tangiert. Bis 2006 wird dann wohl nichts geschehen. Auf eine Wende danach zu hoffen, verbietet der durch bisher gemachte Erfahrungen begründete Pessimismus. Baden geht so die Fürsorge für die Mitarbeiter der Hamburger Amtsgerichte, für die auch die genannten Institutionen (Justizbehörde und Präsident des Oberlandesgerichts) mit verantwortlich sind. Hier ist eine Führungslücke erkennbar. Das von höchster Stelle immer wieder geforderte Führungsverhalten von Leitungspersonen muss von den Fordernden auch selbst gezeigt und vorgelebt werden.

Übrigens: Womöglich ergibt sich bei Prüfung eines gerichtsübergreifenden Ausgleichs im Saldo eine Personaleinsparung[4]. Wird dies ggf. erst nach Jahren bemerkt, kommt ohne Frage und mit Recht der Vorwurf des nicht sorgfältigen Umgangs mit Steuermitteln hoch.

Die medienwirksamen Instrumente, mit denen in früherer Zeit das Landgericht Hamburg im strafrechtlichen Bereich mit Erfolg auf sich aufmerksam machen konnte, wenn es darum gegangen ist, Personalforderungen durchzusetzen, haben die Hamburgischen Amtsgerichte im stillen Bereich des Zivilprozessrechts leider nicht; hier hätten sie diesmal aber durchaus eine legitime Grundlage für öffentlich-wirksames protestierendes Verhalten.

Bei den Hamburgischen Amtsgerichten tobt der Bär. Dass dies auch in den Strafgerichten der Hamburgischen Amtsgerichte gleichermaßen der Fall ist, mag gesondert dargestellt werden. Die Mitarbeiter der Amtsgerichte schauen voll skeptischer Hoffnung auf das, was die Justiz-Exekutive insoweit tut bzw. nicht tut.

Hernach – nach Lektüre dieser Ausführungen – wird voraussichtlich dementiert und gesagt werden, es sei unentwegt und vielerlei in diesem Sinne getan worden. Schade dann nur, dass die Betroffenen von diesem Orkan des Aktivismus nicht zumindest einen Windhauch gespürt haben.

Kai Breuer

Anmerkung:

Als wiederholt (insbes. derzeit) ans Amtsgericht abgeordneter Richter am Landgericht wohnen zwei Seelen - ach - in meiner Brust. Verstehen kann ich Breuer, Direktor des AG Barmbek, in seiner Not gut. Doch auch die andere Seite ist zu sehen, denn nicht nur am Amtsgericht, sondern auch am Landgericht tobt - um mit den Worten Breuers zu sprechen - "der Bär" in gleicher Weise.

Die von Breuer herangezogene Erwartung des Gesetzgebers, am Landgericht würden durch die Reform nennenswerte Ressourcen freigesetzt, hat sich als unerfüllter Wunschtraum erwiesen und sollte wohl eher der Beruhigung der Länder dienen.

Breuer erkennt zwar, dass seine Argumente für eine erforderliche Stärkung der ersten Instanz nicht nur auf das AG, sondern auch auf das LG zutreffen. Die (nicht nur von ihm vertretene) Ansicht, beim LG sei dies schon durch die Einführung des originären Einzelrichters ausgeglichen, berücksichtigt jedoch nicht, dass schon vor jener Einführung sehr weitgehend von der Einzelrichtermöglichkeit Gebrauch gemacht wurde. So habe ich persönlich vor der Reform zuletzt nur noch ca. 1 eigene Sache pro Halbjahr in der mündlichen Verhandlung vor der Kammer gehabt.

 

Auch die Erleichterungen für die Berufungskammern haben nach meiner eigenen Erfahrung nicht das Gewicht, das Breuer ihnen beimessen möchte. Die Möglichkeit, eine Berufung durch Beschluss zurückzuweisen, hat mehrere Voraussetzungen, die nur bei dem kleineren Teil der Berufungen gegeben sind. Gelegentlich verkompliziert sich das Verfahren durch diese Regelung sogar, z.B. wenn sich auf die erforderlichen vorherigen Hinweise des Berufungsgerichts ein reger Schriftwechsel mit dem Berufungsführer entspinnt, die Sache durch neue unbegründete Argumente unnötig komplex geworden ist oder sie schließlich doch terminiert werden muss. Soweit hinsichtlich eines Teils der Berufungen eine Zurückweisung per Beschluss erfolgt, liegt die Ersparnis lediglich in der Nichtdurchführung der Verhandlung: ein Durcharbeiten der Akte und eine Abstimmung in der Kammer bleiben trotzdem erforderlich und die Zurückweisungs- bzw. Hinweisbeschlüsse haben eine Qualität, die meistens derjenigen von Berufungsurteilen entspricht.

Dass das "große" Amtsgericht mehr Referendare als das "kleine" Landgericht hat, war zwangsläufig schon immer so. Dass sich aber an der prozentualen Verteilung etwas geändert hat, lässt sich dem Artikel nicht entnehmen und indiziert deshalb keine Personalverschiebung.

Unter dem Strich lässt sich sagen, dass der Nachweis, dass die Differenz zwischen Vor- und Nachteilen der Reform eine nennenswerte Personalumverteilung rechtfertigt, nicht schon durch die erörterten Argumente geführt ist; die Ermittlung durch Anwendung von Personalbemessungsmaßstäben bleibt abzuwarten.

Wenn der Haushaltsgeber die Gerichte Mangel leiden lässt, so sollten die Gerichte mit Verteilungskämpfen untereinander behutsam sein. Gefragt ist Einigkeit und Deutlichkeit bei Forderungen gegenüber dem Haushaltsgeber, dem gegenüber ebenfalls Bemessungsgrundsätze aufgestellt werden sollten (MHR 1/2003, 22, 24 ff.).

Wolfgang Hirth


[1] Im Internet: http://www.luewu.de/gvbl/index.php

[2] Im Internet: http://www.richterverein.de/cgi-bin/sitexplorer.cgi?/j2000/pebbsy/

[3] Im Internet: http://www.mj.niedersachsen.de/master/0,,C3066004_N3065775_L20_D0_I693,00.html

[4] In diese Richtung geht der Artikel von Elisabeth Heister-Neumann (niedersächsische Justizministerin), Die Justiz ist schwer krank, sie leidet an ihrer Opulenz, ZEIT Nr. 23 vom 27. 5. 2004, Seite 6.