(Dieser Artikel ist veröffentlicht in MHR 3/05, 11) < home RiV >

Die Unperson beim Festkommers

 I.

Auf Freitag, den 24. Juni 2005, hatte die Burschenschaft „Corps Irminsul“ zu einem Festkommers anlässlich ihres 125-jährigen Bestehens in den Hamburger Ratsweinkeller eingeladen und dafür als Gastredner Prof. Konrad Löw von der Universität Bayreuth gewonnen, der den Lesern der MHR kein Unbekannter sein dürfte[1]. Wie es sich gehörte, hatten die Veranstalter in gemessener Frist vor ihrer Feier mit der Hamburger Firma
Urmersbach KG, der Pächterin des Ratsweinkellers, einen Mietvertrag geschlossen. Einen Tag vor dem großen Ereignis faxte die Sprinkenhof AG – „Ihr Dienstleister rund um die Immobilie“ – dem Pächter um 09.52 Uhr:

 

„... Sie informieren uns darüber, dass Sie für eine Veranstaltung am 24. Juni 2005 den Grundsteinkeller an die Burschenschaft „Corps Irminsul“ überlassen haben. Sie teilen ferner mit, dass Sie nicht darüber informiert waren, dass anlässlich dieser Feier als Festredner Herr Professor Konrad Löw auftreten soll. Wir möchten zum Ausdruck bringen, dass wir den Auftritt des Festredners ausdrücklich missbilligen und fordern Sie auf, diesbezüglich geeignete Schritte in die Wege zu leiten, um dies zu unterbinden.

Die vertraglich vereinbarte Nutzung zum Zweck des Betriebs eines Ratsweinkellers stellt besondere Ansprüche an den Betreiber bei der Auswahl der Veranstaltungen, die im Objekt (sic!!:[2]) stattfinden. Wir erwarten von Ihnen, dass Sie dieser besonderen Verantwortung gerecht werden.“

 

Um was - in aller Welt! - drehte es sich hier? Die taz hatte am frühen Morgen mit der Schlagzeile aufgewartet: „Rechter Kommers mit umstrittenem Gastredner darf morgen im Hamburger Rathaus stattfinden“ und sich dazu – freilich in ihrer Version und Wertung – auf den Sachverhalt bezogen, der sich in den MHR nachlesen lässt. Die taz-Meldung muss in Hamburg wie eine Bombe eingeschlagen sein; das zeigt auch ein FAX der Hamburger Veranstalter an ihren Gastredner Prof. Löw, das dieser um 17.36 Uhr am Tage vor seinem Auftritt bekommt:

„... Nach einem unfreundlichen Artikel zu unserem Festkommers in der „taz“ am heutigen Tage eskalierte die Situation im Lauf des Vormittags. Der Pächter des Ratsweinkellers droht die Kündigung der Räumlichkeiten für den Fall an, dass der Kommers in der vorgesehenen Art und Weise durchgeführt wird. Hier wurde – und wird – insbesondere von politischer Seite Druck ausgeübt; auf Einzelheiten möchte ich nicht eingehen.

Der Vorstand unserer Altherrenschaft hat daher beschlossen, den Festkommers in
einer
der pc[3] entsprechenden Form durchzuführen, so dass mir die unangenehme Pflicht zukomme, Sie auszuladen. Ich bedaure die eingetretene Entwicklung zutiefst, habe aber die Entscheidung des Vorstand mitzutragen.“

 

Am 24. Juni geht bei der Sprinkenhof AG ein Anwaltsschreiben ein, das zunächst besagt, der Pächter habe die ihm abverlangten Schritte gegen das Auftreten Prof. Löws unternommen, um dann fortzufahren:

„Hierzu wird mitgeteilt, dass nach Auskunft des Amtsleiters Verfassungsschutz, Herrn Heino Vahldiek, vom gestrigen Tage keinerlei Erkenntnisse über Herrn Prof. Löw vorliegen, die ein solches Verhalten rechtfertigen. Ganz im Gegenteil – bei Prof. Löw handelt es sich um einen angesehenen Wissenschaftler, der insbesondere für die Landeszentrale für politische Bildung in Bayern renommierte Werke – u.a. zum Grundgesetz – verfasst hat. Die Familie von Prof. Löw wurde von den Nazis verfolgt. Ich fordere Sie daher auf, bis spätestens heute 15.00 Uhr zu erklären, dass Sie von Ihrer Forderung an den Pächter des Ratsweinkellers Abstand nehmen und einem Vortrag von Prof. Dr. Konrad Löw zustimmen.“

Sechsundzwanzig Minuten vor Fristablauf kommt die Antwort:

„... Wir beziehen uns auf Ihr FAX vom heutigen Tage und teilen Ihnen mit, dass wir nach Rücksprache mit dem Präsidenten des Hamburger Verfassungsschutzes, Herrn Hanno Vahlendiek[4], unsere Missbilligung zum beabsichtigten Vortrag von Herrn Prof. Löw zurücknehmen.

Wir bitten um Verständnis, dass wir uns aufgrund der uns bis gestern vorliegenden Informationen veranlasst sahen, unseren Pächter zu bitten, seiner Verantwortlichkeit gerecht zu werden. Vielen Dank für Ihr Verständnis.“[5].

 

Am Abend hielt der angekündigte, eilends rehabilitierte Redner seinen angekündigten Vortrag zum angekündigten Thema:

„Deutsche Identität in Verfassung und  Geschichte“.

Indessen hatte man - wer immer man in diesem Falle alles war! - die Kurve rückwärts hier so überstürzt gedreht, dass sogar die taz die Wendung nicht recht mitbekommen hatte und am Folgetag berichtete:

„Redner ausgeladen – Kein Corpsgeist im Rathaus

Der gestrige Festkommers des „Corps irminsul“ im Ratsweinkeller des Hamburger Rathauses fiel anders aus als geplant. Der angedrohte Festredner Prof. Konrad Löw erhielt Auftrittsverbot. Das bestätigten gestern der Direktor der Bürgerschaftskanzlei, Reinhard Wagner, und Senatssprecherin Kristel Gießler. Das Präsidium der Hamburger Bürgerschaft hatte ... den – ahnungslosen – Pächter des Ratsweinkellers über die ungebetenen Gäste in Kenntnis gesetzt. Die Corps-Feier durfte zwar gestern Abend stattfinden, Löws Auftritt jedoch wurde untersagt. „Die Würde des Rathauses muss gewahrt bleiben“, befindet der SPD-Abgeordnete Andreas Dressel, sein grüner Kollege Christian Maaß hält „extremistische Töne im Rathaus, selbst im Keller, für nicht akzeptabel“. Es sei zu überlegen, so die beiden Rechtspolitiker, ob der Pachtvertrag mit dem Gastronomiebetrieb „dahingehend konkretisiert“ werden könne. Wagner verweist auf den offiziellen Vermieter, die städtische Sprinkenhof. Der gegenüber habe das Bürgerschaftspräsidium „keine Kompetenz, allenfalls der Senat“. Der werde „prüfen, ob da was gemacht werden kann“, versichert dessen Sprecherin Gießler: „Es ist schlimm, dass so etwas passieren konnte.““

Die „antifaschistischen Nachrichten“ teilen später noch - in ihrer Juli-Ausgabe[6] - eine andere Variante mit:

„... der Festkommers des rechtslastigen Corps konnte jedoch trotzdem stattfinden. Inzwischen kam heraus, dass Löw trotzdem referierte, bloß zu einem anderen Thema. Laut Senatssprecherin Kristel Gießler wird jetzt geprüft ....“

- es folgt dann, was die taz schon am 26. Juni geschrieben hatte.

 

II.

 

Das alles braucht eigentlich nicht weiter kommentiert zu werden, weil der Sachverhalt das schon selbst besorgt – ohne Erklärungen. Ist er doch nur ein beiläufiges weiteres Beweisstück für die These, dass unsere „politische Kultur“ längst an einer Hysterie krankt, die in allem, was nach Geist und Sprache den mainstream verlässt, zwanghaft Volksverhetzung, deren Anfänge oder Ausläufer wittert[7], und die deshalb vorschreibt, schon die Verdachtszone weiträumig zu meiden. Obwohl also nichts als die alte Litanei, sollte der Fall dennoch unser Interesse wecken, weil die Sache hier – in Hamburg – spielt, in einem Rathaus beginnt, das seit geraumer Zeit eine „bürgerliche“ Stadtregierung beherbergt, eine dubiose politische Inpflichtnahme unserer Sprinkenhof AG dokumentiert und den Verfassungsschutz in eine Rolle gedrängt zeigt, auf welche dieser selbst den geringsten Wert legen dürfte.

 

Libertatem quam peparere maiores digne studeat servare posteritas”[8] prangt stolz über dem Rathausportal: Wie hat dieser Geist der Freiheit sich doch verflüchtigt!

 

Man wüsste zu gern, was der Direktor der Bürgerschaftskanzlei (ein alter Richterkollege übrigens) wirklich gesagt hat, wenn er sich hier denn überhaupt geäußert hat (die taz ist, wie gezeigt, schließlich keine zuverlässige Quelle), und wie sich – gegebenenfalls - die Senatssprecherin eingelassen hatte (was Abgeordnete reden, wenn ihnen ein Mikrophon unter die Nase gehalten wird, ist der Nachfrage schon weniger wert). Vielleicht wird man Richtigstellungen, Ergänzungen oder Erklärungen schon in der Jahresendnummer der MHR lesen können.

 

Günter Bertram 


[1] zu Konrad Löw siehe MHR 4/2004 S. 42: Bücherverbrennung 2004: Der Fall Konrad Löw

[2] „Objekt“ ist klassischer Stasi-Jargon, vgl. nur Erich Loest: Die Stasi war mein Eckermann

[3] „political correctness“

[4] ob Heino Vahldiek oder Hanno Vahlendiek – es dürfte sich um die gleiche Amtsperson handeln; die kleine Variation lässt freilich die Hektik des Tages jedenfalls erahnen.

[5] Dass der „Dank für Ihr Verständnis“ in diesem Falle angebracht war, lässt sich bezweifeln; denn wer kann Gründe und Motive billigen oder auch nur beurteilen, die ihm verschwiegen werden?

[6] Nummer 14/2005, vgl. http://www.antifaschistische-nachrichten.de

[7] vgl. dazu Bertram: Panischer Schnellschuss, MHR 2/2005, 24

[8] „Die Freiheit, die uns die Väter erworben, mögen die Nachkommen würdig bewahren“