(Dieser Artikel ist veröffentlicht in MHR 4/05, 23) < home RiV >

Richter aus Gattensicht

Auszüge aus einer Rede, die ein Hamburger Anwalt seiner Ehefrau, die Richterin ist,

anlässlich ihrer Pensionierung gehalten hat

 

Es war über die vielen Jahre ein Glück und eine Bereicherung – insbesondere auch für unsere Kinder -, dass Du als Richterin tätig warst. Ich möchte daher unserem Staat meinen Dank darüber aussprechen, welche Möglichkeiten er einem Richter bzw. einer Richterin nicht nur wegen lässiger Außer-Achtlassung der gebotenen Kontrollen, sondern kraft Gesetzes und zum Teil sogar kraft Verfassung einräumt:

Das gilt ganz primär für die richterliche Unabhängigkeit, die nach dem Grundsatz nicht nur gewährt wird, sondern als tragender Verfassungsgrundsatz gewünscht und geradezu gefordert wird. Diese Position einer Berufstätigkeit, in die einem niemand hineinreden kann oder gar „Anweisungen von oben“ erteilen kann und in der man nicht einmal – wie als Selbständiger oder Gewerbetreibender – auf Kunden oder den Zeitgeist Rücksicht nehmen muss, und in der man unabsetzbar, nämlich unkündbar ist, wenn man nicht geradezu silberne Löffel klaut, verleiht dem Beruf eine Ausübungs-Freude und Würde, die kaum mit Worten zu beschreiben ist. Und sie ermöglicht es, die richterliche Tätigkeit unabhängig von irgendwelchen Dienstzeiten auszuüben und wo auch immer die Richterin will.

Du hattest also völlige räumliche und zeitliche Freiheit, die dem Richteramt nur deswegen gewährt wird, weil der Gesetzgeber davon ausgeht, dass ein hohes Ethos und ein hohes Maß an Verantwortlichkeit die Richter nicht auf dumme Gedanken bringt, diese Unabhängigkeit auszunutzen. Diese Annahme des Gesetzgebers war jedenfalls bei Dir und übrigens bei den allermeisten Richtern, die ich kenne, auch gerechtfertigt. Es gibt zwar den einen oder anderen Richter, den ich für seine richterliche Tätigkeit weniger geeignet finde, als wie man sich das optimalerweise wünschen könnte (wie sollte das anders sein, da ja auch Richter nicht andere Menschen sind als andere). Aber das gebotene und subjektive Ethos als das notwendige Pendant zur richterlichen Unabhängigkeit findet man eigentlich durchgängig.

Hinzukommt, dass die Amtsrichterin, die ja zwischen den Parteien sitzt, und zwar erhobenen Hauptes als Vorsitzende und dominante Person des Geschehens, ein Sozialprestige und eine Ehrfurcht aller anderen am Geschehen im Gerichtssaal Beteiligten, die sich vor ihr als vor den Schranken des Gerichts empfinden, genießt, wie dies kaum einem anderen Beruf zuteil wird: Jede Partei, die versuchen würde, sich mit ihr anzulegen, wäre ja schön blöd, da sie annehmen müsste, solche Auseinandersetzung würde schließlich bei der Entscheidungsfindung gegen sie ins Gewicht fallen. Also begegnet die Richterin in ihrem beruflichen Leben von keiner Seite aus ernsthaftem Widerspruch, schon gar nicht, wenn sie als Vorsitzende 20 Jahre lang aktiv ist.

Und sie hat nicht einmal irgendwelche psychologischen Probleme mit anderen Richtern, sei es Vorsitzenden oder Beisitzern, da sie mit den Richtern anderer Abteilungen nichts Funktionales, Soziales oder Psychologisches zu tun hat. Die Richterin muss sich also mit niemandem anderen abstimmen und bekommt dadurch einen Status, der sie im Grunde schweben lässt, wenn sie nicht irgendwo auch mal - wie z.B. bei uns zu Haus - eine Gegenwindkompensation erfährt.

Und auch die anfängliche Sorge der Richterin, dass etwa die zweite Instanz eine Entscheidung aufheben könnte und man als Richterin dadurch etwa eine intellektuelle oder jedenfalls emotionale Niederlage erleiden könnte, erweist sich im Laufe des Richterlebens als völlig unbegründet, je häufiger man nämlich erlebt, wie zweifelhaft auch die Entscheidung einer nächsten Instanz sein kann, die dann wiederum von anderen höheren Gerichten aufgehoben werden kann. Man kann sich also alsbald kraft richterlicher Erfahrung der Überzeugung hingeben, dass es keineswegs ein Fehler der eigenen Entscheidung sein muss, wenn sie in nächster Instanz aufgehoben wird, zumal wenn man berücksichtigt, dass es durchaus Richterpersönlichkeiten gibt, die meinen, es sei besonders profilierend, an den Entscheidungen und Gedanken anderer herumzunörgeln. Bei der gebotenen selbstkritischen Hinterfragung, ob man etwas falsch gemacht hat, hilft jedenfalls häufig diese Erkenntnis, über Anklänge von Deprimiertheit hinweg.

Zusammengefasst ergibt sich aus dem hier gezeichneten Bild, dass kraft der richterlichen Unabhängigkeit und der Demut der am richterlichen Geschehen beteiligten Parteien die richterliche Persönlichkeit von Würde, Größe und Charisma und nur seltenem Anlass zur Rücksichtnahme oder Niedergeschlagenheit geprägt ist. Ich habe nicht den Eindruck, dass das allen Richtern stets bewusst ist, aber gleichwohl ist dieser Befund nicht ernsthaft diskutabel. Daran ändert auch nichts, dass viele Richter – wie die Vertreter anderer Berufsstände auch – fortwährend maulen, es sei früher alles besser gewesen, sie seien überlastet etc. Da mag zwar was dran sein, aber es ist natürlich auch eine Frage der Einstellung, wie man mit wachsenden Anforderungen umgeht.

Besonders glücklich hast Du es getroffen, dass Du eine Allgemeine Zivilabteilung hattest und also in die volle Fülle des Rechtsgeschehens bzw. der Lebenssachverhalte hineinrichten durftest und nicht mit Mengen von Akten von Spezialrechtsgebieten betraut warst, die – je nach Rechtsgebiet – schon mal recht langweilig werden können. Die Allgemeine Zivilabteilung des Amtsgerichts bietet ja so ziemlich die interessanteste Generalistentätigkeit, die man sich vorstellen kann; die Tätigkeit hat Dich stets allgemein-interessiert gehalten.

Dass unser Staat Dir die Gelegenheit gegeben hat, Dich zu so einer Persönlichkeit zu entwickeln, erfüllt mich mit Dankbarkeit. Ich bin gern mit einer solchen Persönlichkeit verheiratet, und ich habe niemals im Rahmen auch intensiver Belastung auch nur den Anflug von Unzufriedenheit empfunden, dass Du diesen schwierigen und persönlichkeitsprägenden Beruf gewählt hast.

Die zweite Wohltat, die der Staat für die Richterin bereit hält, ergibt sich aus der Regelung des Richtergesetzes, wonach man die richterliche Tätigkeit bis zur Hälfte des regelmäßigen Dienstes einschränken kann, wenn man Kinder bis zum Alter von 18 Jahren oder sonstige pflegebedürftige Angehörige betreut, oder wenn eine Arbeitsmarktsituation vorliegt, in der ein außergewöhnlicher Bewerberüberhang besteht und deshalb ein dringendes öffentliches Interesse daran gegeben ist, verstärkt Bewerber im öffentlichen Dienst zu beschäftigen.

Durch diese Möglichkeit der Verminderung der zu bearbeitenden Aktenmenge war es Dir möglich, Beruf und Familie in einer Weise zu verbinden, wie dies nach meiner Kenntnis kein anderer Beruf gesetzlich institutionalisiert vorsieht.

 

Und als drittes Moment dieser freundlichen staatlichen Behandlung kommt dann noch hinzu, dass man als Richter auch noch aus den besagten arbeitsmarktpolitischen Gründen der hohen Zahl von Bewerbern um das Richteramt – und es bewerben sich eigentlich immer viel mehr, als gebraucht werden – vorzeitig „Urlaub ohne Dienstbezüge“ nehmen darf.

 Wenngleich heutzutage nach dem statistischen Mittel ohnehin ab 55 Jahren nur noch wenige Leute zu arbeiten scheinen, so ist diese staatliche Regelung für diesen richterlichen „Urlaub ohne Dienstbezüge“ doch eine enorme gesetzliche Großzügigkeit unseres Staates, da es ja einen gewaltigen Unterschied macht, ob man nun von seinem Unternehmen als Arbeitnehmer im Alter von 55 oder 57 Jahren vor die Tür gesetzt wird, oder ob man freiwillig wählen kann und die Option hat, zu gehen und sogar noch wieder anzufangen, wenn sich die Wahl als subjektiv nach dem Lebenszuschnitt falsch herausgestellt haben sollte. Und dass man dann sogar noch auf vergleichbarer Stelle wie derjenigen, aus der man weggegangen ist – also ohne innerhalb der Justiz-Organisation hin- und hergeschoben zu werden – wieder anfangen darf, ist eine staatliche Wohltat, die man gar nicht hoch genug veranschlagen kann und die viel zu viele Richter als angeblich selbstverständliche Ausprägung staatlicher Richter-Fürsorge gar nicht richtig einschätzen. Ich freue mich, dass Du durch mich und unsere Kinder und deren Berufe immer den Blick für die Großmütigkeit behalten hast, die die Richterei Dir insoweit gewährt hat.

 

Aus Deiner persönlichen Art, die Richterei zu betreiben, möchte ich zwei Dinge herausgreifen:

Du hast ganz besonders stark den Grundsatz der mündlichen Verhandlung in den Vordergrund gestellt, weil Dir eine ausgeprägte Kommunikation nicht nur ein Herzensbedürfnis ist, sondern weil Du auch die Vorstellung hattest, dass in mündlicher Verhandlung der Lebenssachverhalt, der ja zur richterlichen Beurteilung ansteht, häufig viel besser herauskommt als in vorbereitenden Schriftsätzen.

Durch diese unmittelbare Beziehung zwischen Richterin und Parteien ist es Dir häufig gelungen, die entscheidenden Nuancen aus den Ecken des Dir vorgetragenen Lebenssachverhalts hervorzukehren, und Du konntest dann also sehr viel mehr zum Frieden zwischen den Parteien beitragen, als das häufig bei Gericht geschieht. Ich glaube, dass die Parteien regelmäßig mit dem Gefühl aus Deinen Sitzungen herausgegangen sind, die Richterin habe wenigstens sich bemüht, zu verstehen, worum es ihnen eigentlich gegangen sei, und sie fühlten sich verstanden und angehört. Das ist keineswegs bei allen Gerichtsverhandlungen so, sondern oft fühlen sich die Parteien nach kurzer Verhandlung quasi wieder hinausgeworfen.

Dieses Maß von Verständnis und Verstandensein ist eigentlich das schönste Kompliment, was man einer Richterin machen kann; und Deine Art der Tätigkeit war eine wohltuende Abhebung von gelegentlich hörbaren richterlichen Äußerungen, die mündliche Verhandlung sei doch nicht so wichtig, weil doch in den Schriftsätzen schon alles vorgetragen sei. Solche Richter mögen zwar richtig entscheiden, dienen aber damit nicht immer dem Verständnis der Parteien!

 

Diese Dir eigene Hervorhebung der mündlichen Verhandlung leitet dann über zu dem zweiten Punkt, der Deine richterliche Tätigkeit gekennzeichnet hat: Du hast in weit überproportionalem Maße die Parteien zu einem vernünftigen Vergleich bewegen können, so dass sie also mit dem Gefühl herausgehen konnten, sie hätten zur Lösung des mit der Gegenseite entstandenen Konfliktes selbst wesentlich beigetragen und müssten sich nicht durch ein Urteil gewissermaßen belehren lassen.

Unter Richtern gilt – so habe ich erfahren – gelegentlich das Hinwirken auf einen Vergleich als Ausdruck von Entscheidungsschwäche und wird daher ein bisschen mit Argusaugen betrachtet. Welch eine Verkennung! Der Richter bzw. die Richterin soll nicht primär wie ein Automat das gesetzliche Ergebnis der Konfliktlösung des ihm bzw. ihr vorgetragenen Sachverhalts herausspulen, sondern er bzw. sie soll dem Recht dienen, und das Recht ist primär dazu da, aufgetretene Konflikte zu bewältigen, und nicht unbedingt dazu, das Gesetz mit der Brechstange durchzusetzen.

Wenn diesen Rechtsfrieden die Parteien – vernünftig durch die in der Mitte sitzende neutrale Vorsitzende geleitet – selbst hinbekommen, kommt es wirklich darauf nicht mehr an, wie denn die Konfliktlösung ausgegangen wäre, wenn man es zur Entscheidung hätte kommen lassen. Dies gilt erst recht, wenn man weiß, wie schwierig eine richterliche Entscheidungsfindung ist und wie gratwanderig sich häufig ein Entscheidungsprozess abspielt: Was als Urteil den Parteien präsentiert und gelegentlich wie Runen mit Donnerhall daherkommt, ist doch häufig eine völlige Überzeichnung dessen, wie so eben und eben ganz schwach die richterliche Waage bei der Abwägung der wechselseitigen Argumente ausgeschlagen hat. Das ist den Richtern keineswegs vorzuwerfen, denn wenn eine Entscheidung her muss, dann muss eben auch das leichteste Ausschlagen des Wäge-Balkens der richterlichen Waage schließlich zählen, und wenn dann das letztlich knapp entscheidende Argument in den Vordergrund geschoben und zur Begründung angegeben wird, klingt das in Schwarz auf Weiß häufig viel schwarz-weißer als es eigentlich geboten ist.

Aber dies zeigt doch, dass oft die Vergleichslösung die viel bessere ist, aber sie herbeizuführen, kostet richterliche Zeit, die Du Dir – herzlichen Dank dafür im Namen aller bei Dir vorstellig gewordenen Parteien – immer genommen hast. Ich glaube, Du hast damit dem gedient, was das Gesetz jetzt in § 278 Abs. 2 ZPO als der richterlichen Entscheidungsfindung vorgreiflich vorgesehen hat.

 

Rolf Schultz-Süchting