(Dieser Artikel ist veröffentlicht in MHR 3/93) < home RiV >
Briefwechsel

Der Vorstandes des Richtervereins tritt in letzter Zeit immer häufiger zu Sondersitzungen aus aktuellem Anlaß zusammen. Einer dieser Anlässe war der angekündigte Einstellungsstop auch in der Justiz und die Absetzung eines Richterwahlausschußtermines. Der Vorstand schrieb nach Beratung unter dem 16.7.1993 wie folgt an die Justizbehörde:
 

Sehr geehrte Frau Senatorin,

der Vorstand des Hamburgischen Richtervereins hat davon Kenntnis erlangt, daß für den Bereich der Justizbehörde und damit auch für die Gerichte und die Staatsanwaltschaften alle Stellenbesetzungen de facto blockiert sind. Die bevorstehende Sitzung des Richterwahlausschusses ist aus diesem Grunde abgesetzt worden.

Angesichts der uns bekannten schwierigen Haushaltslage wenden wir uns nicht gegen Sparmaßnahmen im personellen Sektor überhaupt. Wir wenden uns dagegen, daß nach einem "Rasenmäherprinzip" Stellen des richterlichen und nichtrichterlichen Dienstes von heute auf morgen nicht mehr besetzt werden sollen. Durch einen derartig massiven und unorganischen Eingriff in unsere Organisationen können Teilbereiche der Rechtspflege lahmgelegt werden.

Unsere Sorgen gelten insbesondere folgenden durch Personalmangel geprägten Bereichen:

- den Staatsanwaltschaften - vor allen Dingen in den allgemeinen Abteilungen (vgl. MHR 2/1993 S. 2 "Kurz vor dem Zusammenbruch Unerträgliche Arbeitssituation junger Staatsanwälte");

- den Geschäftsstellenorganisationen aller Gerichte und Staatsanwaltschaften;

- den Richtern in den Zivilabteilungen des Amtsgerichts angesichts der steigenden Eingänge;

- dem Verwaltungsgericht, das insbesondere durch die Neuregelung im Asylrecht durch sprunghaft steigende Eingänge belastet ist.

Unsere besondere Sorge gilt aber auch denjenigen jungen Kolleginnen und Kollegen, die in der inzwischen abgesetzten Sitzung des Richterwahlausschusses am 22.07.1993 zur Wahl vorgeschlagen worden sind. Eine Absage unter schlichtem Hinweis auf plötzlich verhängte Sparmaßnahmen würde bei den Betroffenen einen erheblichen Vertrauensschaden begründen, darüber hinaus die Glaubwürdigkeit des Hamburger Einstellungsverfahrens überhaupt in Frage stellen.

Aufgabe des Hamburgischen Richtervereins ist es nach seiner Satzung, die Interessen der Rechtspflege wahrzunehmen. In diesem Punkt sind wir uns Ihrer Unterstützung gewiß.

Sollten wir Anzeichen dafür gewinnen, daß durch die angeordneten Sparmaßnahmen der Justizgewährungsanspruch - auch angesichts der steigenden Eingänge in nahezu allen Bereichen der Gerichte und Staatsanwaltschaften - ernsthaft gefährdet wird (erneute Haftentlassungen drohen, Terminierungen, Entscheidungen im Zivil- und Verwaltungsverfahren nicht mehr rechtzeitig erfolgen können), werden wir eine solche Entwicklung nicht tatenlos hinnehmen.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Makowka

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Frau Dr. Peschel-Gutzeit antwortete mit Schreiben vom 26.7.1993 wie folgt:
 

Sehr geehrter Herr Vorsitzender,

Ihr Schreiben vom 16. Juli 1993, hier eingegangen am 22. Juli 1993, gibt zu folgenden Feststellungen Anlaß:

Sie selbst in Ihrer Eigenschaft als Landgerichtspräsident sind, ebenso wie alle anderen Präsidenten der Hamburger Gerichte, am 9. Juli 1993 von der Staatsrätin der Justizbehörde darüber unterrichtet worden, daß der Senat am 30. Juni 1993 wegen der deutlich verschlechterten Haushaltslage einschneidende Sparmaßnahmen für das laufende Haushaltsjahr 1993 beschlossen hat. Von diesen Maßnahmen sind alle Behörden betroffen, Gerichte und Staatsanwaltschaften allerdings nur eingeschränkt: Wegen des Justizgewährungsanspruchs sind Gerichte und Staatsanwaltschaften sog. Schonbereiche, deren Stellen nicht zu 100 %, sondern nur zu 60 % in die Errechnung der Gesamtsparrate der Justizbehörde einbezogen werden. Mit anderen Worten: 40 % aller Stellen bei den Gerichten und Staatsanwaltschaften brauchen überhaupt keine Einsparleistungen zu erbringen, während z.B. die Justizbehörde zu 100 % in die Einsparquote einbezogen wird. Hiernach hat die Justiz für 1993 insgesamt 1,759 Mio an sachlichen Verwaltungsausgaben und 1,379 Mio an Stellen zusätz1ich einzusparen.

Um einen Überblick über bereits erbrachte und in 1993 überhaupt noch erzielbare Einsparungen zu ermöglichen, habe ich am 2. Juli 1993 angeordnet, daß ab sofort eine generelle Wiederbesetzungssperre gilt, zugleich alle bereits erteilten Besetzungsgenehmigungen für noch laufende Verfahren widerrufen werden und daß im laufenden Jahr Stellen nur noch bei unabweisbarem Bedürfnis im Wege der Einzelfall-Ausnahme nach entsprechender Prüfung wiederbesetzt werden dürfen. Aus diesem Grunde wurde auch die Sitzung des Richterwahlausschusses vom 22. Juli 1993 abgesetzt. Diese Sitzung war im übrigen eine auf Bitten richterlicher Mitglieder anberaumte zusätzliche Feriensitzung. Die nächste reguläre Sitzung des Richterwahlausschusses war seit Jahresbeginn auf den 25. August 1993 angesetzt. An diesem Tag wird die Sitzung auch stattfinden.

Am 20. Juli 1993 hat unter meiner Leitung in der Justizbehörde die erste grundlegende Personaleinsparungsbesprechung stattgefunden. Im Laufe der mehrstündigen Sitzung sind auch erste Ausnahmen von dem allgemeinen Wiederbesetzungsstop beschlossen worden. Diese Entscheidung war naturgemäß erst nach detaillierten Ermittlungen und Berechnungen, auch prognostischer Art, die einige Zeit in Anspruch genommen haben, möglich. Teil dieser Entscheidung vom 20. Juli 1993 ist, daß wegen der Dringlichkeit der Aufgaben bis auf eine Ausnahme sämtliche Bewerberinnen und Bewerber, die für die Sitzung des Richterwahlausschuß vom 22. Juli 1993 vorgesehen waren, nunmehr in die Tagesordnung der nächsten regulären Sitzung vom 25. August aktuell aufgenommen werden. Das bedeutet, daß für das Verwaltungsgericht die derzeit in Rede stehenden zweieinhalb Stellen zur Neubesetzung freigegeben worden sind, für das Amtsgericht eine und für die Staatsanwaltschaft zwei Stellen. Darüber hinaus ist u.a. beschlossen worden, daß bei der Staatsanwaltschaft zwei Rechtspflegerstellen freigegeben werden und beim Amtsgericht eine Stelle für eine Geschäftsstellenmitarbeiterin. Eine Rückfrage vor Absendung Ihres Schreibens hätte Ihnen diese Information ohne weiteres verschafft. Zu einer solchen Rückfrage bestand um so mehr Anlaß, als Sie von der Staatsrätin wußten, daß die Absetzung der Sitzung des Richterwahlausschusses vom 22. Juli 1993 nur eine vorläufige Bedeutung hatte und zwischenzeitliche Klärungen ermöglichen sollte.

Ihre Formulierung, die Justizbehörde verfahre nach dem "Rasenmäherprinzip", es werde massiv und unorganisch in die Gerichtsorganisation eingegriffen, ist nach allem unbegründet und daher falsch. Ebensowenig wird durch die angeordneten Sparmaßnahmen derzeit der Justizgewährungsanspruch gefährdet. Die Nachbarländer Schleswig-Holstein und Niedersachsen haben bekanntlich weit drastischere Sparmaßnahmen treffen müssen, weil deren Haushaltslage dazu zwingt. Hamburg konnte sich, auch dank vorausschauender Finanzpolitik der letzten Jahre, bisher auf maßvolle Einsparungen beschränken.

Vor diesem Hintergrund der angespannten Haushaltslage hoffe ich, daß wir die damit evt. verbundenen zusätzliche Engpässe gemeinsam überwinden werden. Insofern empfinde ich es als unverständlich und unpassend, daß Sie in Ihrem Schreiben, dessen Wortlaut Sie ja der gesamten Richterschaft und damit auch der Öffentlichkeit bekannt geben wollen, das "Reizwort" Haftentlassung verwenden, zumal nicht ersichtlich ist, daß sich die Sparbeschlüsse konkret auf die Großen Strafkammern auswirken werden. Ich habe Sorge, daß dies in der Öffentlichkeit und im politischen Raum mißverstanden werden könnte. Im übrigen bin ich zuversichtlich, ja sicher, daß die Präsidien der Gerichte in Wahrnehmung ihrer hohen Verantwortung unter Beachtung von Prioritäten die nun einmal überall noch knapper gewordenen personellen Mittel auch weiterhin bestmöglich verteilen werden, so daß jedweder vermeidbarer Schaden für die Rechtsgewährung zuverlässig vermieden wird.

Ich erwarte, daß der Hamburgische Richterverein sich in dieser schwierigen Haushaltslage kooperativ verhält und Eskalationen ebenso vermeidet, wie ich es tue.

Mit bestem Gruß

Dr. Lore Maria Peschel-Gutzeit
 

P.S. Ich gehe davon aus, daß Sie auch dieses Schreiben in Ihrem demnächst erscheinenden Mitteilungsblatt veröffentlichen werden.