(Dieser Artikel ist veröffentlicht in MHR 3/94) < home RiV >
Hamburger Fürsorgeverein

In der vorangegangenen Ausgabe (MHR 2/94, S. 17) habe ich die Rahmenbedingungen unseres sozialtherapeutischen Gesamtangebotes - Wohnheim, ambulante Wohnbegleitung, handwerkliche Trainingswerkstätten - für Haftentlassene dargestellt. In Fortsetzung dessen möchte ich Sie heute über die inhaltlichen Aspekte informieren.

In dieser Zeit allgemeiner Verunsicherung und wirtschaftlicher Krise ist Resozialisierung noch schwieriger geworden. Es wird zunehmend problematischer, mit den Bewohnern eine realisierbare Perspektive für ein straffreies Leben in Eigenverantwortung zu erarbeiten, da die persönlichen Probleme und Defizite durch die Verschlechterung der gesellschaftlichen Gesamtsituation noch verstärkt werden - Wohnungsnot und dauerhaft hohe Arbeitslosenquoten sind Beispiel dafür. Resozialisierungskonzepte erfordern eine tolerante Grundeinstellung des gesellschaftlichen Umfeldes, gekoppelt mit der Möglichkeit, sie zu finanzieren.

Unser Programm im Wohnheim zur psycho-sozialen Stabilisierung umfaßt Einzelfallhilfe in Kombination mit Gesprächsgruppenarbeit - unter der Hauptzielsetzung, den Rückfall in erneute Straffälligkeit zu vermeiden und später ein selbständiges Leben der Probanden in der eigenen Wohnung zu ermöglichen.

Leider finden sich alle Negativerscheinungen in verstärkter Ausprägung bei den Haftentlassenen wieder. So sind wir mittlerweile mit dem gesamten Spektrum der Suchtgefährung bis hin zur Abhängigkeit konfrontiert: Alkohol, Medikamente, Drogen aber auch mit stoffungebundenen Süchten. Frühere Abgrenzungen unter den konsumierten Suchtmitteln sind nicht mehr zu verzeichnen; es wird das Suchtmittel konsumiert, das gerade verfügbar ist.

Resultierend aus der massiven Problematik der bei uns angemeldeten Bewerber, mußten wir zwangsläufig die Aufnahmekriterien und damit die Arbeit im Wohnheim insgesamt niedrigschwelliger ansetzen. Wir müssen, wie schon immer, bei Alkohol und Medikamenten nunmehr auch bei Drogen mit dem Rückfall umgehen. Häufig ist es nötig, erst einmal die Motivation zu wecken für eine Substitutionsbehandlung incl. ambulanter Drogentherapie, um eine Basis für die Zusammenarbeit zu schaffen. Die Übergangsphase bis zur Aufnahme ins Substitutionsprogramm ist kritisch und erfordert intensive Betreuung und Außenkontakte, desgleichen der Zeitraum bis zur richtigen Dosierung mit Polamidon und Methadon. Es kann nur derjenige im Wohnheim verbleiben, der in diese Richtung mit dem Ziel der Drogenabstinenz zu motivieren ist.

Wir mußten in Anbetracht dieser Realität unsere über die Jahre bewährte Grundkonzeption um drogentherapeutische Elemente erweitern. Zur Zeit sind wir dabei, Methoden zu finden, die neue Herausforderung zu bewältigen: Immer häufiger auftretende Tendenzen der Rechtsradikalität in allen bekannten Erscheinungsformen. Bisher ist es gelungen, das Prinzip der absoluten Gewaltfreiheit zu erhalten: Körperliche Auseinandersetzungen werden nicht geduldet, sondern haben den Auszug zur Folge.

Bei allen Bewohnern ist es von Bedeutung, eine sinnvolle Tagesstruktur und eine berufliche Perspektive zu erarbeiten. So sind viele den konkreten Anforderungen des Alltags nicht gewachsen. Vor allem hat aber die Fähigkeit zur eigenen sinnvollen Tagesgestaltung in den oft langen Jahren der Haft gelitten. Hier bieten wir den entsprechenden Rahmen von den räumlichen Gegebenheiten her und erarbeiten mit jedem Bewohner ein individuelles Trainingsprogramm. In diesem Zusammenhang sind unsere handwerklichen Trainingswerkstätten eine unverzichtbare Ergänzung zum Wohnen in unserer Einrichtung. Der Bereich beruflicher Findung mit dem Ziel der regulären Berufstätigkeit ist ein wichtiger Faktor der Rückfallverhütung.

Der Freizeitbereich stellt ebenfalls für alle Bewohner ein großes Problem dar. Daher bieten wir gemeinschaftliche Unternehmungen an, um Möglichkeiten aufzuzeigen, aber auch um Ängste zu nehmen, allein aktiv zu werden. Besonders die Feiertage sind für die Bewohner schwer zu bewältigen, daher ist es wichtig, gerade das Weihnachtsfest im Hause in traditioneller Weise zu gestalten.

Die Wohndauer beträgt maximal 18 Monate und richtet sich nach der individuellen Stabilisierung des Einzelnen. In der letzten Phase geben wir Hilfestellung bei der Wohnungsfindung, was für den von uns betreuten Personenkreis wiederum besonders schwierig ist.

Soweit für heute einige Aspekte als Grundinformation über unsere Arbeit. In der nächsten Ausgabe werde ich über unsere "Ambulante Wohnbegleitung" berichten, das Beratungsangebot für ehemalige Bewohner.

Christa O'Brien

Telefon-Nr.: 38 42 14 / 38 82 44