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Ein Mahnmal und seine Nachhaltigkeit

Nun ist es vollendet und zügig eingeweiht, das Mahnmal für die Opfer nationalsozialistischer Justiz in Hamburg. Es ist fast wie mit der deutschen Einheit: Immer wollten wir sie - nun haben wir sie!

Ganze Arbeit wurde von Künstlerin Gloria Friedmann, Architekten und Behörden geleistet: Zerschlagen ist das Ensemble des Sievekingplatzes - vom Verbindungsweg Strafjustizgebäude/Ziviljustizgebäude aus findet das Oberlandesgericht nur noch in der oberen Etage statt. Hoffentlich haben Sie rechtzeitig das letzte mögliche Foto der kompletten Front geschossen - solange die "Mauer" steht, wird das nicht mehr zu machen sein.

"Die Mauer" - sie bewegte die Gemüter, als sie gegossen wurde. Ursprünglich mit 2 m Höhe geplant, gewannen Senator Hoffmann-Riem, die Künstlerin und der Architekt, unterstützt von den Vertretern der Kulturbehörde den Eindruck, die Mauer werde zu "niedlich". Man stockte auf - 3,25 m Höhe mißt sie jetzt.

Die starren Eisentöpfe - auf dünnen Säulen lastend - wurden eilig mit allerlei Pflanzen bestückt: Ordentliche Herbstastern aus dem Gartencenter, Brennessel, Porree, Rosen, Blumenkohl, Lavendel. Die Künstlerin Gloria Friedman persönlich, sonst im lieblichen Burgund lebend, legte letzte Hand an die Biodiversität.

Nun sind die Feierlichkeiten lange vorbei, der Senator ist gegangen, der goldene Oktober der Einweihung jährt sich. Zum Herbst hin welkt der Porree, die Astern verblühen, die Rosen wird der erste Frost erwischen, die Brennessel zieht sich zurück. Die fröhliche Pflanzengesellschaft geht in den Winterschlaf. Diese winterliche Tristesse des Ensembles im vergangenen Winter wurde der Justiz noch nicht als Lieblosigkeit angelastet - sollen wir doch die Pflege gewährleisten, damit nicht vom Pflegezustand der Kübel auf unsere politische Korrektheit geschlossen werde. Im Winter 1997/1998 sah man nur noch die Mauer - türkis auf der einen, grau/schwarz auf der anderen Seite.

Mit Stiefmütterchen erwachte die Pflanzenvielfalt zu neuem Frühlingsleben. Sorgsam gepflegt vom städtischen Bauhof brachte die samtige Blütenpracht uns "correct" durch das Frühjahr. Der Sommer ging glimpflich ab, sorgte doch der anhaltende Regen für kreative Frische und spiegelte damit die Biodiversität auch der Hamburger Bewohner. Der gelegentlich leuchtend kobaltblaue Himmel über Hamburg kontrastierte pikant mit dem ebenso leuchtenden Türkis der Bilderwand (Hamburg in der Vogelperspektive heute) - man könnte die Harmonie auch "schrill" nennen. Die Kübel sind weiterhin gepflegt - hierauf muß jeder Justizangehörige ja ständig achten. So haben wir das erste Jahr ohne Imageverlust hinter uns gebracht. Aber wielange wird das noch gutgehen angesichts des neuen schlanken Staates?. Wird er auch die Pflege arbeitsintensiver Mahnmale noch gewährleisten können?

Die Mauer bewegte die Gemüter, als sie begann, das Oberlandesgericht zu verdecken und die Bewohner allzunah mit sich und ihrem symbolischen Inhalt zu konfrontieren. Was zu befürchten war, trat jedoch ein: Der Ärger ebte ab, Gewöhnung schlich sich ein und mit dieser Gewöhnung ist auch die Diskussion um Justiz und Nationalsozialismus in Hamburg leise geworden.

Die Planung und Errichtung eines Mahnmals für die Opfer nationalsozialistischer Justiz in Hamburg sollte nach den Vorstellungen der Projektgruppe "Mahnmal" im Vorfeld von einer intensiven Diskussion, Informationen, Ausstellungen begleitet werden. In diesem Diskurs wäre nicht nur die Gestaltung des Mahnmals, sondern auch dessen Bedeutung über einen langen Zeitraum im Bewußtsein geblieben. Hierzu kam es nicht mehr. Der Senator wollte sein Mahnmal. Die Kurzlebigkeit der Wahlperioden führt auch zur Eile bei den zu setzenden Mahnmalen.

Und nun? Soll Gartenarbeit jetzt Trauerarbeit ersetzen? Es ist Zeit, die Arbeit wieder aufzunehmen. Mit der Veranstaltung zu Carl v. Ossietzky hat die Arbeitsgruppe Kultur und Justiz den Faden wieder aufgenommen. Wer spinnt daraus ein wirkliches Gedenken?

Karin Wiedemann