(Dieser Artikel ist veröffentlicht in MHR 4/98) < home RiV >

Lübischer Pressesprecher

Der Pressesprecher des Landgerichts Lübeck trägt sein Herz auf der Zunge. Das mag ihm als politischem Polemiker Ehre und Respekt verschaffen - qualifiziert es ihn auch für sein Amt? Nachdem der BGH den Freispruch im Lübecker Hafenstraßenprozeß (über das Verfahren erster Instanz und seine Begleitumstände habe ich mich in NJW 1997, 3355 ausgelassen) aufgehoben und die Sache zurück an das Landgericht Kiel verwiesen hatte, blieb Wolfgang Nescovic seiner Rolle treu. Das schien mir eine Glosse im Mitteilungsblatt des Schleswig-Holsteinischen Richterverbandes (INFO 3/98) wert zu sein, die hier nachfolgend abgedruckt wird:

"Volkstribun" oder Pressesprecher?"

Kurt Rudolph hat vor mehr als zehn Jahren über "Öffentliche Äußerungen von Richtern und Staatsanwälten" nachgedacht und sein Resultat vorgetragen und niedergeschrieben: auf dem 14. Deutschen Richtertag in Hamburg 1987; vgl. DRiZ 1987, 337, dessen man sich heute noch erinnern sollte: Eine vehemente Verteidigung richterlicher Äußerungsfreiheit und - als die andere Seite der gleichen Medaille - zugleich eine Mahnung, nicht durch Polemik, politisierende Grenzüberschreitung und eitle Schaumschlägereien das öffentliche Vertrauen in die Justiz zu beschädigen und zu verschleudern.

Es gibt zuweilen Anlässe, daran zu erinnern. Den letzten hat Wolfgang Nescovic gesetzt, seines Zeichens Gerichtssprecher des Lübecker Landgerichts:

Nachdem schon dieses im Strafverfahren gegen Safwan Eid mit Urteil vom 30. Juni 1997 den Freispruch des Libanesen darauf gestützt hatte, daß die maßgeblichen Vorgänge im Brandhause nicht zuverlässig zu rekonstruieren seien, und der BGH in seiner Revisionsentscheidung vom Juli d.J. - was den Verdachtsausschluß gegen etwaige (von der Straße her agierende) Dritte anlangt - diese Feststellungen seinerseits unterstrichen hatte, tritt der genannte Sprecher alsbald vor die Presse und beschimpft den von ihm ohnehin nicht geliebten Schleswiger Generalstaatsanwalt, er habe die "fragwürdigen Ermittlungen" der StA Lübeck gedeckt und "überzeugungskräftige Indizien" (scil. für die wahre Täterschaft Dritter, nämlich Jugendlicher aus Grevesmühlen) beiseite wischen lassen. Das sind Sprache und Tonlage des Lübecker "Bündnisses gegen Rassismus", das schon immer in den Staatsanwälten (neben den der unmittelbaren Täterschaft geziehenen Grevesmühlern) die wahren Bösewichter erkannt hatte und den Spruch des BGH folgerichtig als "fatale Fehlentscheidung" und Begünstigung der wahren Täter beschimpft (vgl. z.B. SZ vom 25.7.98).

Nun gehört Narrenfreiheit sicherlich zur Demokratie, ebenso wie ein hoher Grad von Toleranz gegenüber ungezügelter Kritik und politischer Verbohrtheit. Kann aber auch ein Gerichtssprecher Narrenfreiheit und Nachsicht dergestalt für sich in Anspruch nehmen? Die Frage ist kaum mehr als Rhetorik, denn ihre Verneinung liegt auf der Hand - besteht doch die simpelste Pflicht eines Gerichtssprechers darin, Justizdinge (gegebenenfalls auch kritisch) zu erläutern, nicht: sein persönlich-politisches Süppchen zu kochen; durch letzteres disqualifiziert er sich.

In Lübeck also scheint man den Bock zum Gärtner bestellt zu haben. So etwas schwant offensichtlich auch dem Genannten selbst und seinen politischen Freunden. So hört und liest man, Polemik wie z.B. die zum Hafenstraßenverfahren äußere Herr Nescovic durchaus nicht als Pressesprecher, sondern in seiner Eigenschaft als Sprecher der "Landesarbeits-gemeinschaft Demokratie und Recht" oder überhaupt der Grünen, zu denen er seit geraumer Zeit übergewechselt war.

Es ist müßig, über solch' spitzfindig - fadenscheinige Einlassungen mit Herrn Nescovic oder seinen politischen Freunden zu diskutieren. Die Frage geht überhaupt nicht an ihn, sondern an das Landgericht Lübeck, das doch wohl selbst darüber bestimmen kann, ob es einen politisierenden Vormund oder einen Pressesprecher zu beschäftigen beliebt. ...

Eine simple, leicht entscheidbare Geschichte, wie es jedenfalls dem "Laien" scheint. Wer die Interna nicht kennt, sondern aus gewisser Distanz dergleichen hört und in den Zeitungen liest: der kommt aus dem Stauen nicht heraus und reibt sich in (vielleicht etwas naiver!) Verwunderung über diese bemerkenswerte Praxis-Variante lübschen Rechts die Augen. ...

Günter Bertram