(Dieser Artikel ist veröffentlicht in MHR 4/04, 18) < home RiV >

Vorrang für die Justiz?

 

Nachdem neben Hirth[1] und Bertram[2] sich nunmehr auch Grett[3] für einen verfassungsrechtlichen Vorrang der Justiz gegenüber nichtpflichtigen Ausgaben ausgesprochen hat (und zwar ebenfalls schon de lege lata), ist auch der nachfolgende kompetente Beitrag von Till Steffen[4] unbedingt eine Bereicherung für diese Diskussion.

 

(Red.)

 

Justiz und Haushalt

 

Die Frage, wie die Justiz mit Haushaltsmitteln ausgestattet wird und wie die Entscheidung darüber zustande kommt, ist eine hoch spannende rechtspolitische Frage. Spannend, weil sich hier die Frage der Gewaltenteilung einmal ganz praktisch stellt. In der Theorie ist die Gewaltenteilung ganz einfach: Parlament und Regierung haben sich nicht in den Inhalt der Rechtsprechung einzumischen. Das versuchen sie oft genug, auf direktem und indirektem Wege – meist zum Glück ohne Erfolg. Über die Bewilligung der Haushaltsmittel besteht eine nicht ganz unerhebliche Möglichkeit, indirekt auf die Rechtsprechung Einfluss zu nehmen. Sicher nicht auf den Inhalt der Entscheidungen, aber schon darauf, wann und oft auch ob in angemessener Zeit überhaupt Entscheidungen ergehen. Dadurch kann eine bestimmte Gruppe von Rechtsuchenden systematisch benachteiligt und eine andere Gruppe, etwa die potentiell Beklagten, entsprechend begünstigt werden.

Ein Beispiel war die Aufstockung des Personals an den Sozialgerichten Anfang 2001. Sicher hatte niemand etwas dagegen gesagt, dass gegen den Bearbeitungsrückstau etwas unternommen wurde. Aber warum nicht ein Jahr früher oder später?

 

Ohne Zweifel wird die Ausstattung der Justiz immer eine politische Entscheidung des Haushaltsgesetzgebers, also des Parlaments, bleiben. Das folgt bereits aus der schlichten Tatsache, dass Justiz und andere Staatsaufgaben aus den gleichen Steuerquellen gespeist werden, über deren Verwendung einheitlich entschieden werden muss. Die Abhängigkeit der Justiz in ihrer Mittelausstattung vom Haushaltsgesetzgeber ist auch eine der notwendigen Verknüpfungen, die zwischen den Gewalten bestehen muss.

 

Die Frage ist, wie der Prozess zur Entscheidung über den Haushalt der Justiz ausgestaltet wird. Der Hamburgische Richterverein hat dazu schon einige sehr interessante Diskussionsanstöße gegeben und im Januar 2003 zum Thema „Justiz und Haushalt“ auch eine Veranstaltung ausgerichtet.

Sehr instruktiv ist dazu der Vortrag von Wolfgang Hirth „Richter und Justizhaushalt“ (MHR 1/2003, 23). Hirth fordert – kurz gesprochen – dass zunächst in einem Gesetz die Pensen der Richter festgelegt werden und dann die Mittelzuweisung im Haushalt unmittelbar aus diesen gesetzlich festgelegten Pensen und dem Arbeitsanfall folgt. Die faktische Entscheidung über die Personalausstattung der Gerichte erfolgt dann durch dieses Pensengesetz und nicht mehr durch den Beschluss über den Haushalt. In der Verfassung soll wiederum festgelegt werden, dass diese Festlegung der Pensen durch Gesetz erfolgt.

 

Meiner Ansicht nach kommt es für die Ausgestaltung des Verhältnisses zwischen Haushaltsgesetzgeber und Gerichten auf zweierlei an:

Zum einen muss die Entscheidung über die Mittel der Justiz so transparent und so weit frei von Willkür wie möglich sein.

Zum anderen sollten Gerichte und Haushaltsgesetzgeber auf möglichst direktem Weg miteinander kommunizieren.

 

Für eine transparente und möglichst willkürfreie Entscheidung ist die Zugrundelegung von Pensenschlüsseln ein interessanter Ansatz. Dies sollte – wie von Hirth vorgeschlagen – auch in einem Gesetz geschehen. Dieses sollte auf Basis empirisch breit erhobener Daten zugrunde legen, in welchen Bereichen der Justiz von einem Spruchkörper welche Erledigungszahlen erwartet werden können. Dem würden zunächst die sich verändernden Eingangszahlen gegenüber gestellt, so dass mehr Fallzahlen für den einzelnen Bereich auch mehr Personal bedeutet.

 

Dennoch kann und wird es passieren, dass die Politik die sich so ergebenden Personalbedarfe nicht bedient. Aus zwei Gründen:

Der eine ist systemimmanent. Wenn die Angabe hohen Aufwands für die Erledigung einer Sache zu mehr Personalzuweisungen führt, so werden die unterschiedlichen Gerichtszweige ihren Wettbewerb um Mittel auch dadurch austragen, dass sie auf geringe Pensen in ihrem jeweiligen Bereich hinarbeiten. Das wird auch die beste Empirie nicht vollständig ausschließen können.

Zum anderen wird auch ein solches Verfahren nicht dazu führen, dass die Justiz nicht mehr im Wettbewerb um knappe Haushaltsmittel stünde.

 

Drei Dinge würden sich aber dennoch verändern:

·        Die politische Entscheidung, der Justiz Haushaltsmittel nicht zu gewähren, die für eine Bearbeitung der Rechtssachen in zufrieden stellender Frist erforderlich ist, würde transparenter gemacht werden,

·        die Entscheidung der Verteilung der Mittel über die verschiedenen Bereiche der Justiz würden objektiviert und

·        die Rechtspolitiker hätten eine bessere Argumentationsbasis gegenüber konkurrierenden Ansprüchen anderer Ressorts im Rahmen der Haushaltsberatungen.

 

Nicht überzeugt bin ich von der Forderung, dieses Verfahren auch in der Verfassung festzuschreiben. Der zusätzliche Nutzen erscheint mir begrenzt: Selbst wenn in der Verfassung geregelt ist, dass über die Ausstattung der Justiz und die entsprechenden Maßstäbe durch Gesetz entschieden wird, wäre die Justiz nicht besser abgesichert. Dem einfachen Gesetzgeber stünde es immer noch offen, die Pensen so umzudefinieren, dass die Ausstattung doch erheblich verschlechtert wird. Oder anders gesagt: Vor einer politischen Mehrheit, die die Justiz insgesamt gering schätzt, schützt auch eine Verfassungsklausel nur bedingt. Es würde sich letztlich auch die Frage stellen, ob dann nicht auch andere Pflichtaufgaben des Staates einer Absicherung ihrer Mittelbedarfe in der Verfassung bedürfen. Das würde etwa gelten für die Ausgaben für den Umweltschutz oder für die Sicherung des Existenzminimums. Letzteres wird in seiner Höhe zwar nicht durch den Gesetzgeber auf Landesebene aber doch durch den auf Bundesebene festgelegt.

 

Viel wichtiger und im Ergebnis auch wirksamer erscheint mir, den Gerichten den direkten Zugang zum Haushaltsgesetzgeber zu ermöglichen.

Es ist ein Anachronismus, dass die Gerichte im Bezug auf die Verantwortung für den Haushalt als nachgeordnete Dienststellen der Justizbehörde behandelt werden. Die Justizbehörde entscheidet, mit welchen Informationen über den Zustand der Justiz sie das Parlament von sich aus ausstattet – ein nicht ganz unerhebliches Mittel, um die Debatte über den Justizhaushalt zu kanalisieren. Die Behörde entscheidet auch darüber, welche Stellen wie lange budgetiert (also zeitweilig nicht besetzt) werden – aus meiner Sicht treibt dies die Willkür des bisherigen Haushaltsverfahrens auf die Spitze.

 

Selbst der Hamburgische Datenschutzbeauftragte hat das Recht, sich unmittelbar an die Bürgerschaft zu wenden und kann sich so auch unmittelbar in die Auseinandersetzung um sein Budget begeben.

An die Stelle der nachgeordneten Behandlung der Gerichte sollte ein umfassendes Konzept der Selbstverwaltung der Justiz treten, in dessen Zentrum das direkte Antragsrecht der Gerichte stehen muss. Dieses Antragsrecht macht das Instrument des Pensenschlüssels erst wirklich fruchtbar, weil nur so ein konkreter Streit zwischen den Gerichten und dem Haushaltsgesetzgeber über die Angemessenheit der Pensenschlüssel und der daraus abgeleiteten Personalzahlen entstehen wird. Dennoch wird die Justizbehörde im Haushaltsverfahren nicht überflüssig werden: Sie muss zunächst einen Vorschlag für den Haushalt machen, der auch die Gerichte umfasst und sie wird eine koordinierende Rolle bei Ermittlung und Anpassung der Pensenschlüssel haben müssen, weil in Hamburg verschiedene Gerichtsbarkeiten gleichwertig nebeneinander stehen.

 

Die Veränderung des Verfahrens der Aufstellung des Haushalts der Justiz bleibt ein wichtiges Thema; die GAL-Fraktion in der Bürgerschaft wird sich damit in nächster Zeit vertieft befassen.

 

Till Steffen


 

[1] MHR 1/2003, 23

[2] MHR 1/2003, 27

[3] Mitteilungsblatt des Niedersächsischen Richterbundes, Okt. 2004, S. 5, 6 f.

[4] Dr. Steffen ist Mitglied der Hamburgischen Bürgerschaft, Sprecher der GAL-Fraktion für Justiz, Bezirke und Verfassungsschutz und Rechtsanwalt in Hamburg


Anmerkung des Homepage-Betreuers:

Zu einem gesetzlichen Pensenschlüssel vgl. nunmehr auch RiBGH Brause, ZRP 2005, 82, 83